Rede zur Eröffnung der Ausstellung:

„Yvonne Dielen – In Mir und um Mich“

CSC Austria AG, Millenium Tower, Wien

 

Hans-Henning Scharsach

Schriftsteller und Publizist

 

Wien,  5. Oktober 2006

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

ich freue mich, sie heute mit einer ganz besonderen Künstlerin bekannt machen zu können, Yvonne Dielen ist Niederländerin. Das ist weniger wegen ihrer Herkunft interessant, sondern vor allem wegen der Malschule, aus der sie kommt. Sie hat nach der Matura die Akademie für industrielles Design in Eindhoven besucht und danach an der Kunstakademie in Utrecht und an der Gerrit Rietveld Kunstakademie in Amsterdam studiert.

Die Holländischen Kunstakademien zählen zu den renommiertesten Malschulen Europas. Hier wird bis heute an die großen Traditionen der niederländischen Malerei angeschlossen, die wir mit Namen wie Jan van Eyck, Hieronymus Bosch, Peter Brueghel, Rembrandt, Jan Vermeer, oder später van Gogh oder Piet Mondrian verbinden

Yvonne Dielen hat in der klassischen Schicht über Schicht - Technik malen gelernt, die im Italien der Hochrenaissance von Künstlern wie Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael oder Tizian entwickelt und danach von niederländischen Malern importiert wurde. Männer wie Rembrandt oder Jan Vermeer haben diese Technik zur Perfektion entwickelt und zur Grundlage der klassischen niederländischen Malerei gemacht.

Yvonne Dielen hat diese Jahrhunderte alte Technik erlernt, und verwendet sie in etwas modifizierter Form heute noch, um ihren Bildern Transparenz, Tiefe und diese besondere Leuchtkraft zu geben. Das ist das Besondere an der niederländischen Malschule, aus der diese Künstlerin hervor gegangen ist, dass sie die Studenten zuerst in den handwerklichen Traditionen der alten Meister ausbildet, bevor sie sie auf die Suche nach eigenen Wegen schickt.

Yvonne Dielen hat diesen eigenen Weg gefunden. Was sie hier an den Wänden sehen ist das vorläufige Endprodukt einer langen künstlerischen Entwicklung, an deren Beginn die naturalistische Malerei im Stil der traditionellen niederländischen Schule stand.

Entdeckt wurde das Talent der Yvonne Dielen von einem der ganz großen Künstler und ganz großen Lehrer an der Amsterdamer Gerrit Rietveld Kunstakademie. Professor Melle Oldeboerrigter war Ende der sechziger Jahre Grandseigneur und Provokateur der niederländischen Kunstszene in einer Person. Auf der einen Seite ein Maler, dessen Arbeiten rund um die Welt gingen und ein Kunstprofessor, der sich seine Schüler selbst aussuchte, um seine Zeit nicht an Minderbegabte zu verschwenden. Auf der anderen Seite aber auch ewiger Stein des Anstoßes mit erotischen Bildern, die immer wieder für Ausstellungsverbote, Medienwirbel und öffentliche Diskussionen sorgten.

Dabei war der Name Oldeboerrigter in den Niederlanden kaum bekannt, weil jeder diesen Künstler nur unter seinem Vornamen Melle kannte. Er war stolz darauf, nur mit seinem Vornamen im Telefonbuch zu stehen, und er war wahrscheinlich der einzige Mann, den Briefe auch dann erreichten, wenn sie an "Herrn Melle, Maler in den Niederlanden" adressiert waren. Die Bedeutung dieses Malers erkennt man unter anderem auch daran, dass sie 30 Jahre nach seinem Tod auf mehr als 1500 Dokumente stoßen, wenn sie seinen Namen in die Suchmaschine Google eingeben. Das Stedelijk Museum hat sein ganzes Oeuvre.

Dieser Professor Melle hat das außergewöhnliche Talent der jungen Yvonne Dielen entdeckt, als diese noch Grafik studierte. Er hat sie in seine Malklasse geholt und seine Lieblingsschülerin, weit über den Studienabschluss hinaus, bis an sein Lebensende künstlerisch begleitet und gefordert, Er war es, der ihr klar gemacht hat, dass handwerkliches Können zwar unentbehrliches Hilfsmittel ist, dass es jedoch nur Ausgangspunkt künstlerischer Arbeit sein kann, dass es nur Mittel sein kann und darf, die im Künstler schlummernde Bilderwelt zu erschließen. Und dass wahre Kunst sich erst in dieser eigenständigen Bilderwelt offenbart.

Lassen sie mich also zu jenem Punkt kommen, der Yvonne Dielen und ihre Arbeiten über vieles hinaushebt, was heute am Kunstmarkt angeboten wird. Ich glaube, sie alle wissen, dass die Orientierung auf diesem Kunstmarkt immer schwieriger wird, weil dieser allzu oft nur noch als Bühne marktschreierischer Medieninszenierungen fungiert. Die Unterscheidung zwischen dem, was Chancen hat, als wahre Kunst Generationen zu überdauern, und dem, was in Kürze schon im Papierkorb der Kunstgeschichte entsorgt sein wird, erfordert mehr als den flüchtigen Blick auf ein im Scheinwerferlicht angebotenes Kunstwerk. Die Einschätzung von Kunst erfordert heute mehr denn je eine Befassung mit der Herkunft des Künstlers und der Kontinuität seiner Arbeit. Und darum freue ich mich, dass Yvonne Dielen hier nicht nur die für sie typischen Arbeiten präsentiert, sondern uns auch Einblicke in Herkunft und Entwicklung ihres künstlerischen Schaffens bietet.

Ich will jetzt kurz auf Arbeiten zu sprechen kommen, die sie nicht hier sehen, denen sie aber bei einer Führung durch diese Ausstellung begegnen werden und die ich ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehle. Gleich zu Beginn des Rundgangs, im 35. Stock, stoßen sie auf überragende Zeugnisse realistischer Präzision und Perfektion. Da hängt beispielsweise ein an sich wenig spektakuläres, kleines Aquarell mit drei Schmetterlingen. Auf den ersten Blick sind diese Bilder von Farbfotografien kaum zu unterscheiden. Wenn sie jedoch genauer hinsehen oder vielleicht sogar eine Lupe zu Hilfe nehmen, dann erkennen sie, dass diese Malerei die fotografische Genauigkeit sogar noch übertrifft.

Jetzt werden sie vielleicht sagen: Das geht ja gar nicht. Doch, das geht. Sehen sie sich den Nachtfalter an, den Yvonne Dielens Pinselführung zustande gebracht hat: Der lebt, der vermittelt einem das Gefühl, man konnte ihm den für diese Schmetterlingsart typischen Staub von den Flügeln wischen.

Dann finden sie das Bild von drei Muscheln. Auch hier erleben wir die penible Darstellung der Wirklichkeit, aber wir begegnen hier bereits einer zweiten Ebene. Hier wird Oberfläche naturgetreu wiedergegeben, um einen Blick unter diese Oberfläche werfen zu können.

Und dann ist schließlich ein Bild dabei, bei dem sie ein wenig innehalten sollten Es stellt nichts anderes dar als verblühten Löwenzahn, diese transparenten, blassgrauen Samenkugeln, die wir als Kinder bildhaft Pusteblumen nannten. Ich freue mich wirklich, dass dieses Bild hier hängt, obwohl es längst verkauft ist, weil es den Weg verdeutlicht, den Yvonne Dielen eingeschlagen hat. Auf der einen Seite besticht diese Arbeit durch eine naturalistische Genauigkeit, wie sie nur Meisterhand zustande bringen kann. Auf der anderen Seite aber lässt sich in dieser Arbeit schon ahnen, in welche Dimensionen die Bilderwelt der Yvonne Dielen münden wird: Sie finden in diesem Bild

-        die Müdigkeit des Herbstes, die sich im Hochsommer schon anzukündigen beginnt. Sie erleben hier

-        auf der einen Seite die stille Resignation der Vergänglichkeit,

-       auf der anderen Seite aber auch die Versöhnung mit einer Vergänglichkeit, die nicht das Ende markiert, sondern Teil des zyklischen Ablaufs ist, von blühen, verwelken, vergehen zu neuem Werden, neuem Blühen,

An diesem Bild, so glaube ich, wird das Besondere der Künstlerin sichtbar, die ich ihnen heute vorstelle: Als Meisterin der naturalistischen Malerei hat sie sich am Ende eines langen Lernprozesses für die Abstraktion als Ausdrucksform entschieden, weil ihr nur diese Zugang bietet in jene Dimensionen der Lebens- und Gefühlswelt, aus der sie ihre Motive schöpft. Das ist die Welt, die vielen von uns verschlossen bliebe, würde sie nicht durch Künstlerhand geöffnet.

Nebenbei: auch für diesen Weg gibt es in der niederländischen Malerei Beispiele: Piet Mondrian etwa hat als Naturalist begonnen. Hin und wieder werden diese wunderschönen, frühen Bilder auch in Ausstellungen gezeigt. Und dann hat er sich, als Meister des Naturalismus, der Abstraktion zugewandt und diese weiter getrieben als die meisten seiner Zeitgenossen. Und wenn heute der Name Mondrian fällt, dann denkt niemand an naturalistische Darstellungen, sondern an bunte Quadrate, Linien und Kreise.

Yvonne Dielen ist einen ähnlichen Weg gegangen. Da gibt es so eine nette Episode aus den Studienjahren der Künstlerin, die ich ihnen nicht vorenthalten will. Es war Mitte der siebziger Jahre, als die junge Malerin Yvonne Dielen New York wieder verließ, wo sie an der Columbia University Kunstgeschichte studiert und fleißig gemalt hatte. Als sie mit ihren Arbeiten im Gepäck nach Amsterdam einchecken wollte, wurde sie am Zoll festgehalten: Die amerikanischen Zöllner wollten ihr einfach nicht glauben, dass es sich bei den mitgeführten Arbeiten, die wie Werke alter Meister wirkten, um selbst gemalte Bilder handelte. Und tatsächlich sahen diese Arbeiten der Yvonne Dielen den Bildern der alten Meister, wie wir sie aus den großen Museen kennen, zum verwechseln ähnlich. Das waren bis ins letzte Detail naturgetreu gemalte Stillleben in der alten Lasurtechnik, mit dem für die niederländische Klassik typischen braunen Hintergrund und dieser besonderen Plastizität durch das Spiel mit Licht und Schatten.

Heute ist Yvonne Dielen unverwechselbar. Vom Naturalismus hat sie sich getrennt. Das Spiel mit dem Licht aber hat sie perfektioniert. Ihre Bilder sind im Laufe der Zeit immer heller geworden. Schritt für Schritt hat sie alles reduziert, was ihr unwichtig schien. Geblieben ist schließlich der Blick in eine ferne, lyrische Welt, in ein Universum von Sehnsucht, Hoffnung und Erlösung, das auf uns hinter den Schleiern aus Farbe und Licht zu warten scheint.

Yvonne Dielen ist eine politische engagierte Frau. Und sie hat auf ihrem Weg immer wieder versucht, Beitrage zu einer besseren Welt zu leisten.

-        Sie war noch auf der Akademie, als die friedensbewegte Linke der Niederlande Anfang der siebziger Jahre ihr Poster auswählte, um mit ihm gegen den Vietnamkrieg zu protestieren.

-        1991 warb das österreichische Komitee gegen Folter mit einem Folder von Yvonne Dielen für mehr Menschlichkeit und Rechtssicherheit,

-        1992 entwarf die Künstlerin das Logo für das Ludwig Boltzmann - Institut für Menschenrechte

-        Und 1993 hat sie das Poster für die Menschenrechtskonferenz in Wien entworfen, mit dem die NGOs auf ihre Veranstaltungen aufmerksam machten.

Yvonne Dielen hat sich Zeit ihres Lebens mit engagierten, kämpferischen Menschen umgeben und sie hat ihre Hilfe angeboten, wenn es darum ging, Beitrage für eine wichtige Sache zu leisten. Aber sie sehen es ja selbst, wenn sie vor diesen Bilden stehen: Ihre Arbeiten haben nichts Kämpferisches, diese aus der 68er-Bewegung entstandene Überzeugung, man müsse gesellschaftliche Strukturen zerstören, um sie erneuern zu können, hat sie nie geteilt.

Wir kennen diesen Konflikt aus der Religion: Soll man die Menschen mit der Drohung der Hölle auf den rechten Weg zwingen? Oder ist es wirkungsvoller, sie mit den Verheißungen des Himmels zu locken? Wer die Auseinandersetzungen verfolgt, die Theologen wie Eugen Drewermann oder Hans Küng mit der Amtskirche führen, der weiß, dass die Frage, ob man mehr auf den liebenden oder eher auf den strafenden Gott setzen soll, bis heute umstritten ist.

Yvonne Dielen hat ihre persönliche Antwort jedenfalls gefunden. Sie hat sich, um bei diesem Bild zu bleiben, für den liebenden Gott entschieden. Sie droht nicht mit Strafe, sondern lasst uns ihre Bilderwelt als Erlösung erleben. Es ist nicht das Laute, Aufdringliche, Sichtbare, Greifbare, Materielle, das sie thematisiert. Es ist das Ungreifbare, Stille, Verborgene, das sie für uns entdeckt, erfühlt, oft nur erahnt.

Yvonne Dielen malt keine Menschen. Der Mensch ist für sie Standort ihrer Betrachtungen. Von diesem Standort aus malt sie Blicke nach innen und Blicke nach außen, die Emotion und Phantasie ansprechen. Darum haben diese Bilder auch keine Namen, weil jeder Titel die Phantasie des Betrachters einengen würde.

Wie sie sehen, geht Yvonne Dielen sehr behutsam mit der Farbe um, weil ihr die Oberfläche, die Leinwand, das Papier wichtig sind. Sie malt mit Acryl und Öl ähnlich wie beim Aquarell. Das Weiß wird nicht zuletzt aufgetragen, sondern kommt von unten. Das Material als Träger des Lichts bleibt sichtbar. Das gibt ihren Bildern diese Authentizität, das gibt ihrer Bilderwelt diese fast mystische Transparenz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kunst ist immer auch Auseinandersetzung mit sich selbst. Vieles, was der materielle Daseinskampf in uns verschüttet hat, kann Kunst wieder sichtbar machen. So ist auch der Titel dieser Ausstellung zu verstehen: In Mir und um Mich. Dieses Motto verdeutlicht nicht nur die Sichtweise der Künstlerin. Es ist auch Einladung an uns alle, den Spaziergang durch die Bilderwelt der Yvonne Dielen als Entdeckungsreise in unser eigenes Ich zu erleben.

Dazu, meine Damen und Herren, wünsche ich ihnen viel Sensibilität und gute Unterhaltung!